Forschungsjournal der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1/1998, 44–46

Sternenstaub und Marsmikroben

Planetologie, eine interdisziplinäre Wissenschaft

Thomas Stephan

Die Planetologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die sich mit der Erforschung unseres Sonnensystems, seines jetzigen Zustandes und seiner Geschichte beschäftigt. Dies geschieht einerseits durch die Untersuchung von extraterrestrischem Material, wie Meteoriten, Mondgestein und sogenanntem interplanetaren Staub, andererseits mit Hilfe von Raumsonden, Fernerkundungsmethoden und auch mathematischer Planetenmodelle. Exemplarisch sollen hier einige Arbeitsschwerpunkte des Instituts für Planetologie der Universität Münster, das in seiner Art einmalig in Deutschland ist, vorgestellt werden.

Planetologie ist die Lehre von Aufbau und Geschichte unseres Sonnensystems und seiner Körper. Sie befindet sich damit zwischen den klassischen Disziplinen Astronomie und Geowissenschaften. Während sich erstere heute mit fernen Welten anderer Sterne und Galaxien beschäftigt, beschränkt sich letztere meist auf die Erde, untersucht ihren Aufbau, ihre Struktur und die Gesteine. In der Planetologie vereinigen sich in besonderem Maße eine große Zahl unterschiedlicher Wissenschaften – Astronomie, Physik, Chemie, Mineralogie, Geologie und immer mehr auch Biologie. Fragen nach der Entstehung des Sonnensystems oder nach dem Ursprung des Lebens hatten früher einen eher philosophischen Charakter und sind heute Gegenstand naturwissenschaftlicher Untersuchungen. Dies macht auch die Geschichte der Naturwissenschaft deutlich, die eng verknüpft ist mit dem Verständnis unserer direkten kosmischen Nachbarschaft. Planetologie ist somit eine interdisziplinäre Wissenschaft par excellence.

Mit der Erkundung des Sonnensystems durch Raumsonden in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts wurde die Planetologie ein spektakuläres Forschungsgebiet, während gleichzeitig die Untersuchung von Meteoriten, die man auf unserer Erde findet, zunehmend eine bedeutende Rolle spielt. Daneben stellt interplanetarer Staub, der in der Stratosphäre mit Flugzeugen eingesammelt werden kann, eine neue, relativ leicht zugängliche Quelle für extraterrestrisches Material dar.

Raumsonden des armen Mannes


Bis Ende der sechziger Jahre die ersten Mondproben von den Apollo-Astronauten zur Erde gebracht wurden, waren Meteorite die einzigen Objekte auf der Erde, die von anderen Himmelskörpern stammen. Auch heute, im Zeitalter der Raumfahrt, stellen sie eine wichtige Quelle für Informationen über unser Sonnensystem dar, zumal abgesehen von Mondgestein kein Material bisher durch die Raumfahrt zur Erde gebracht und somit wissenschaftlichen Untersuchungen in irdischen Labors zugänglich gemacht wurde. Zwar haben Raumsonden auch andere Körper im Sonnensystem besucht, jedoch sind naturgemäß die Möglichkeiten, Gestein vor Ort zu untersuchen, beschränkt.

Meteorite, die man auch als Raumsonden des armen Mannes bezeichnet, sind Bruchstücke einer Vielzahl unterschiedlicher Objekte im Sonnensystem. Abgesehen von einigen, die vermutlich von Mars und Mond kommen, stammen die meisten Meteoriten von Asteroiden, kleinen Körpern im Sonnensystem, die auf Bahnen zwischen den Planeten Mars und Jupiter die Sonne umkreisen. Als relativ kleine Körper waren sie viel eher in der Lage, Informationen über die Bildung und Frühzeit unseres Sonnensystems "einzufrieren", als die größeren Planeten, deren vergleichsweise jungen Gesteine die Erinnerung an diese Zeit verloren haben. Unser heutiges Wissen über die Entstehung und Entwicklung des Sonnensystems resultiert daher weitgehend aus der Erforschung der Meteorite. Sie sind Zeugen von der Geburt unseres Planetensystems vor 4,56 Milliarden Jahren. Zwei besonders aktuelle Themengebiete aus dem Bereich der Meteoritenforschung sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Abb. 1: Der Meteorit ALH 84001 wurde in der Antarktis gefunden und stammt vermutlich vom Planeten Mars. (Foto: NASA #AC96-0345-1)

Sternenstaub


Eine wesentliche Frage in der Planetologie ist somit die nach der Entstehung des Sonnensystems. Glaubte man noch bis vor etwa 25 Jahren, daß jegliche Information über die Vorgeschichte unserer Sonne und der sie umkreisenden Körper bei ihrer Entstehung verloren gegangen sei, so hat die Entdeckung von präsolarem Staub in primitiven Meteoriten vor etwa 10 Jahren ein neues Arbeitsgebiet in der Planetologie eröffnet. Dieser "Sternenstaub" stammt noch aus der Zeit vor Entstehung unseres Sonnensystems und stellt in nahezu unveränderter Form Material dar, das in Sternen früherer Generationen kondensierte und aus dem sich das Sonnensystem gebildet hat.

Wasserstoff und Helium, die schon am Anfang des Universums im Urknall gebildet wurden, sind die Urbausteine für alle anderen chemischen Elemente, aus denen unsere Welt und auch wir aufgebaut sind. Es sind die meist katastrophalen Endstadien der Sternentwicklung wie z.B. Supernovaexplosionen, in denen solche kernsynthetischen Prozesse ablaufen. Aus den Überresten der Sterne, interstellarem Staub und Gas, bilden sich neue Sterne und ist auch unsere Sonne entstanden. Bei der Entstehung des Sonnensystems, das heißt der Aggregation der typischerweise nur 0,1 µm kleinen Staubkörnchen zu größeren Körnern, ging durch Aufheizen die Information über den Ursprung dieses Materials weitgehend verloren. In einigen sehr ursprünglichen Meteoriten konnten jedoch präsolare Staubkörner die Zeit seit der Entstehung des Sonnensystems unbeschadet überstehen. Es verwundert daher auch nicht, daß es sich hierbei um Material handelt, das sowohl chemisch als auch thermisch äußerst stabil ist, z.B. Diamant, Siliciumkarbid oder Graphit.

Man erkennt diesen präsolaren Staub an seinen besonderen, stark von "normalem" Material abweichenden Isotopenverhältnissen. Während für fast alle Elemente nahezu einheitliche Isotopenverhältnisse im Sonnensystem beobachtet werden, ein Zeichen für die gute Durchmischung der präsolaren Wolke, werden hier bei einigen Elementen Isotopenhäufigkeiten gefunden, die um mehrere Größenordnungen von den normalen Werten abweichen. Die großen Variationen deuten auf eine Vielzahl unterschiedlicher Vorläufersterne hin, und einige Sterntypen haben hier sozusagen ihre Visitenkarte hinterlassen. Umgekehrt erlaubt die Untersuchung von Sternenstaub Rückschlüsse auf die kernsynthetischen Prozesse, die in solchen Sternen ablaufen und direkten astronomischen Beobachtungen nicht zugänglich sind.

Abb. 2: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines präsolaren Siliciumkarbidkorns. Dieser Sternenstaub stammt noch aus der Zeit vor Entstehung unseres Sonnensystems und wurde in den Atmosphären anderer Sterne gebildet. (Foto: Sachiko Amari, Washington University, St. Louis)

Leben auf dem Mars


Neben der Entstehung unseres Sonnensystems und damit auch der Erde spielt die Frage nach der Entstehung des Lebens seit Menschengedenken eine bedeutsame Rolle. Die Möglichkeit, Leben auf anderen Planeten zu entdecken, hat schon immer die Phantasie der Menschen beflügelt. Von besonderer Bedeutung für solche Spekulationen ist seit langem der Mars. Meteorite vom Planeten Mars stellen bisher das einzige Material von unserem Nachbarplaneten dar, das wir in irdischen Labors untersuchen können. Einige amerikanische Wissenschaftler haben im Jahre 1996 von Hinweisen in einem solchen Gestein, dem Meteoriten mit Namen ALH 84001, berichtet, die auf Spuren früheren Lebens auf dem Mars hindeuten sollten. Untersuchungen am Institut für Planetologie der Universität Münster scheinen diese Behauptung zu entkräften.

Die Aussagen der NASA-Wissenschaftler stützen sich im wesentlichen auf die Beobachtung kleiner Carbonat-Scheibchen in Rissen des Meteoriten, die zusammen mit winzigen Strukturen, die an irdische Mikrofossilien erinnern, Eisenoxid- und Eisensulfid-Körnchen sowie organischen Verbindungen auftreten. Die inzwischen von vielen Wissenschaftlern weltweit angezweifelte Interpretation dieser Befunde lautete, daß Marsmikroben, ähnlich wie manche irdische Bakterien, Eisenoxid und -sulfid gebildet haben. Dabei soll das umgebende Carbonat aufgelöst worden sein. Die organischen Verbindungen, sogenannte polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAHs nach englisch polycyclic aromatic hydrocarbons), sollen demnach Zersetzungsprodukte der Mikroorganismen sein. Obwohl jede einzelne Beobachtung durchaus auch anders erklärt werden könnte, sehen die Befürworter dieser Interpretation im gemeinsamen Auftreten der Phänomene einen Hinweis auf einen gemeinsamen Ursprung, der ihrer Meinung nach nur durch früheres Leben auf dem Mars zu erklären sei.

Genau hier setzten die Arbeiten am Institut für Planetologie an. Durch den Einsatz eines sogenanntes Sekundärionen-Flugzeitmassenspektrometers, einer Technik, die am Physikalischen Institut der Universität Münster entwickelt wurde, konnte sehr empfindlich die räumliche Verteilung der PAHs in dem Marsmeteoriten untersucht werden. Die Analysen haben ergeben, daß diese organischen Verbindungen keineswegs mit den Carbonaten bzw. mit den an Mikrofossilien erinnernden Strukturen korreliert sind. Die PAHs sind überall in diesem Meteoriten anzutreffen und gerade in den Carbonaten eher weniger häufig als im umliegenden Gestein. Eine Möglichkeit für die Quelle der PAHs in dem Gestein könnten irdische Kontaminationen sein. Der Meteorit wurde in 1984 der Antarktis gefunden. Genau dort hat man bereits früher PAHs nachgewiesen, die als Verbrennungsprodukte fossiler Brennstoffe überall in unserer Umwelt vorkommen. Doch auch ein Ursprung auf dem Mars wäre kein Beweis für Leben auf unserem Nachbarplaneten, da PAHs auch an anderen Orten im Weltall beobachtet werden, wo sie garantiert nicht mit Leben in Verbindung zu bringen sind.


Thomas Stephan, geboren 1963; 1982–1987 Studium der Fächer Physik und Astronomie an der Universität Heidelberg; 1987–1989 Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg; dort bis 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter; 1990–1993 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Physikalischen Institut und am Institut für Planetologie der Universität Münster; 1993–1996 zurück am MPI in Heidelberg; seit 1996 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Planetologie der Universität Münster; Arbeitsschwerpunkt seit 1990: "Die Anwendung der Sekundärionen-Flugzeitmassenspektrometrie in der Planetologie"; dies ist auch Thema der Habilitationsschrift, die kurz vor dem Abschluß steht; Untersuchungsobjekte sind interplanetare und präsolare Staubpartikel sowie Meteorite, u.a. auch solche vom Mars.

© Thomas Stephan, last updated January 19, 2008